Rede - Kloster

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Die Geburt der Venus

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

World scanner

Die Ethik des Blaus im Nebelraum

Geschichte im Fels

The secret life of water

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Dialog (divergierend)

Die Logik der Gefühle

Rede zur Ausstellungseröffnung | Andrea Dreher M.A.


Harald Häuser, Gemälde und Keramikarbeiten, Neues Kloster Bad Schussenried

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Schmid, sehr geehrter Herr Dr. Kniep, sehr geehrter Herr stellvertretender Bürgermeister Steyer, lieber Titus Koch, liebe Anwesende, lieber Harald Häuser und liebe Gudrun Häuser,

„Die Geburt der Venus“ – welche Assoziation verbinden Sie mit diesem Bildtitel?
Wahrscheinlich dieselbe wie ich, wir haben vermutlich alle Botticellis Meisterwerk vor Augen, wo die schaumgeborene Schönheit einer Muschel im Bilde entsteigt.
„Die Geburt der Venus“ lautet auch einer der Bildtitel dieser „opulenten“ Ausstellung mit Gemälden und Majoliken von Harald Häuser. Häusers Venus-Bild misst 2 Meter x 1,50 Meter, es ist die Nummer 11 dieser Ausstellung und es liefert einen der vielen malerischen Beweise für eine Kunst, die das Ziel verfolgt, die Grenzen zwischen Raum und Materie auf diesem „Leinwand-Rechteck“ aufzulösen und beides gleichzeitig in eine innere Balance zu bringen.
Häusers Bilder erheben den Anspruch, durch Malerei die Sichtbarkeit abstrakter Räume zu erfassen. So malt er Bilder mit den Augen eines Forschers und er skizziert mit chinesischen Kalligraphie-Pinseln Chiffren, ohne damit Worte zu schreiben!
Diese Ausstellung mit ca. 50 Exponaten hat der Künstler eigens für den barocken Raum hier in Bad Schussenried  entwickelt, d.h. er stellt sich bewusst diesem Kontext, besser noch, er sucht den Dialog über den Bildraum und die Farbtiefe.
Im gemeinsamen Rundgang mit ihm und seiner Frau Gudrun begannen wir „zaghaft“ mit den Majoliken, die in klassischer Fayence-Technik zu einem Großteil an der portugiesischen Algarve-Küste entstanden sind (einzelne Arbeiten stammen auch aus der Majolika-Manufaktur in Karlsruhe). Das Malen auf Keramik muss schnell gehen, denn Häuser hat dabei das in Zinnglasur getauchte Gefäß vor sich auf der Drehscheibe stehen, und es darf kein Pinselstrich daneben gehen. Das Zeichnen auf Vasen sei ein komplexer und äußerst konzentrierter Prozess, erzählte er mir, denn er sei sich bereits beim Malen der Tatsache bewusst, dass er die Erweiterung der Zeichnung in die Dreidimensionalität realisiere. Ein Anspruch, den das einzelne Blatt Papier niemals erfüllen könne.
Seine Frau und Assistentin Gudrun Häuser beschreibt den Akt des Zeichnens ihres Mannes mit „einem automatischen, fast manischen Vorantreiben der Linie im Bildraum – manchmal bis zur all-over-Komposition. Die eigentliche Motivation scheint dabei nicht der Inhalt oder das Thema zu sein, sondern das Eintauchen beim Zeichnen in eine eigene Welt“  (zitiert aus Vorwort Gudrun Häuser in: Tausend und eine Nacht, Düsseldorf/Carvoeiro 2016 - Elke und Werner Zimmer (Herausgeber).
Bei der Betrachtung seiner Vasen und Schalen stoßen wir in der Tat auf deren Bemalungen mit Zeichen, Chiffren und Symbolen. Einzelne Motive wiederholen sich, so z.B. die „Torsi“, Synonyme für die Entstehung von Leben, und die „Schiffe“, Synonyme für den Übergang und das Wechseln an andere Orte.
Er zeichne seit seiner ersten Asien-Reise, erzählte mir Harald Häuser, gemeint ist eine Ceylon-Indien-Reise im Jahr 1980, die den damaligen Kunstakademiestudenten aus der Malklasse Per Kirkebys nachhaltig beeinflusst hat. Er, der junge wilde Maler, hatte nun plötzlich den Drang verspürt, das Gemälde durch zeichnerische Botschaften zu erweitern. In der Sammlung des Marburger Universitätsmuseums befindet sich ein Hochformat Häusers aus dem Jahr 1980, das den Titel Geburt der Venusbilder trägt. Sie können die Arbeit in der Publikation „Harald Häuser Bilder aus 25 Jahren“ anschauen.
Doch zurück zu den Originalen dieser Ausstellung. „Ankommen und Abfahren ist immer das Beste“, sagt Harald Häuser, ein Weltenbummler, der immer wieder neue und vertraute Orte für sich entdeckt, diese als Mensch und Maler erlebt, intensiv darin eintaucht, um dann weiter zu ziehen. Diese Botschaft aus dem Mund des Malers ist fast eine Einladung an die Begegnung mit seiner Malerei.
Ankommen im Bild, wie geht das? Starten wir einen gemeinsamen Versuch und folgen wir der Bildentstehung.
Die Leinwand liegt auf dem Boden, sie wird mit ersten Farbschichten grundiert und großflächig erfasst. Die Farbe wird im Bildraum zunächst als wässriges Medium angelegt. Durch ein konzentriertes Drehen und Wenden der Leinwand lotet der Künstler nun die optische Schwerkraft des Bildes aus. Noch während des Trockenprozesses greift Häuser zu pastosen Farben und / oder zum Pinsel, um zeichnerische Chiffren einzubauen. Der Maler bleibt auf seinen Raum fokussiert und vertraut hierbei ganz seinen Assoziationen, welche innere Bilder in ihm generieren und den Bildraum zu einem Erlebnisraum werden lassen, in dem alles einen Sinn und eine Funktion haben muss.
Ja, Sie hören richtig, Häuser vertraut nicht auf die expressive Geste, sondern er sucht die Harmonie zwischen Farbe und Form, zwischen Vertikale und Horizontale, usw..
Im Laufe des Bildprozesses wird die natürliche Sehgewohnheit des Malers durch einen Tiefenraum erweitert, den er insbesondere durch verschiedene Lasuren erreicht. Die Lasur-Technik ist eine Hauptcharakteristik im Werk Harald Häusers. Das lichte und spontane Auftragen hauchdünner Farbschichten bildet das große Geheimnis im Werk dieses Malers, der mitunter auch Tücher als Pinsel verwendet, um diese als verlängerten Arm einzusetzen.
Häusers „Tuch-Technik“ ist unter dem Begriff der Décalcomanie zu fassen, einer künstlerischen Technik des Farbabzuges oder des Farbabklatsches. Die Décalcomanie zielt nicht darauf ab, ein Motiv abzubilden, sondern selbständig ein Motiv zu sein. Ich kann Sie nur wärmstens ermuntern, sich bei der Bildbetrachtung auf diese besonderen Stellen in den Bildern Harald Häusers einzulassen!
Per Kirkeby habe seinen Studierenden vor allem das Reflektieren beigebracht, sagte Harald Häuser im Gespräch, und man habe dabei gelernt, sehr kritisch zu werden und ein Gefühl dafür zu entwickeln, warum ein Kunstwerk wirklich funktioniere!
Harald Häuser, der inzwischen auf 43 aktive Mal-Jahre zurückblickt, sieht eine der Hauptfunktionen seiner Malerei in der Auflösung von Dualitäten. Es gehe nicht darum, die Position Kunst versus Realität zu vertreten oder das Gesetz versus die Natur auszuspielen, sondern in seiner Malerei erhebe er immer den Anspruch, größtmögliche Toleranz zu üben und sinnvolle Analogien zu finden.
Dadurch dass sich in Häusers Bildern materielle Strukturen mit Farben und Zeichnungen in einem komplexen Prozess begegnen, erreicht er im Tun eine große Unabhängigkeit zwischen Denken und Fühlen.
Inzwischen sind wir in den Bildern angekommen, wenn Sie sich an unser Gedankenmodell erinnern … wie verhält es sich nun mit dem Abfahren respektive dem Abschied.
Harald Häusers Kunst erhebt keine programmatische Aussage, sondern er tritt an, in seinen Bildern eine jedem Bild innewohnende Grundidee greifbar zu machen. Manchmal kann uns Betrachtern auch der Titel einen Hinweis geben, wenn wir z.B. „World Scanner“, „Die Ethik des Blaus im Nebelraum“, „Die Geschichte im Fels“ oder „The secret life of water“ lesen.
Harald Häuser will uns mit seiner Kunst einen erweiternden Seh-Denk-und Lebensimpuls an die Hand geben, die auf einem wirklich großartigen Subtext fußt, nämlich dem der Toleranz.
Je komplexer und tiefer seine Räume seien, desto stärker sei die Toleranz im Bild gefordert. Toleranz innerhalb des Bildes, Toleranz vom Bild zum Betrachter und Toleranz vom Betrachter zum Bild.
„Man malt, um etwas zu verstehen“, ist einer der Sätze aus dem Munde des Malers. Der Beginn dieses Verstehens erfolgt nicht über den rationalen Weg, sondern über spontane und automatische Impulse, über Anleihen an die „écriture automatique“ der Surrealisten.
Ein Bild zu verstehen bedeutet für Harald Häuser, dass die Energie, die der Künstler in sein Werk investiert hat, für uns selbst sichtbar und erfahrbar wird. Wenn wir alle in den nächsten Stunden diese Ausstellung verlassen, so sollten wir mit einem erweiterten „Toleranz“-Begriff nach Hause fahren und uns bereits beim Abschied auf das nächste Ankommen in den Bildern von Harald Häuser freuen.
Das Zeitalter des Barock war ein Zeitalter, in dem es um die Sichtbarkeit des Körperlichen ging. Barocke Künstler haben die Anwesenheit des Körperlichen als Ereignis inszeniert, aber bei aller Freude zum überbordenden Experiment vergisst man gerne, dass barocke Formen ohne Berechnungen und Proportionen nicht bis ins Heute überdauert hätten. Das heißt, die Erweiterung des Kanons und die Ausreizung des vermeintlich Unmöglichen war es, was die Künstler und Baumeister des Barock antrieb, ein Umstand, den wir hier in Bad Schussenried in diesem unbeschreiblich schönen Ambiente wunderbar nachvollziehen können.
Dieser barocke Ansatz, nämlich die rationale Grundlage im Dialog mit experimentellem Tun zu verbinden, ist es, was auch Harald Häusers Malerei ausmacht. Barock ist auch ein Synonym für die Kunst der Künstlichkeit und für den Mut, die Vergangenheit in Frage zu stellen, die Tradition aktiv zu erweitern und nicht in der Stagnation zu verharren.
Wer sich – wie ich im Vorfeld dieser Ausstellung -  eine Weile mit dem stillen Maler und Denker Harald Häuser zusammen setzt, um gemeinsam seine Kunst zu erleben,  begreift plötzlich den Ursprung des Ganzen: Die Leidenschaft! Die Bildsprache Häusers ist emphatisch, leidenschaftlich und trotzdem maßvoll bescheiden. Seine Kunst erregt ohne aufzuregen, er provoziert Gefühle, die sich nicht formulieren lassen, und das Pathos seiner Bilder besteht darin, dass er die Anerkennung des Natürlichen immer weiter treibt und dabei versucht, das Künstliche wirklich werden zu lassen.
Harald Häuser zieht keine Grenze zwischen Kunst und Leben, und er fordert uns auf, dieses Experiment als Betrachter mitzugehen! Folgen wir also der bildnerischen Idee dieses Künstlers und lassen uns treiben. Vielleicht machen Sie Halt vor dem Werk Nr. 32 der Ausstellung mit dem Titel  „Dialog divergierend“ oder vor der „Logik der Gefühle“, (Nr. 4) – auf alle Fälle entdecken Sie in den Räumen dieses barocken Klosters die „körperliche“ Gegenwart neu und durch die Geschichte „beseelt“.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
© Andrea Dreher


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